Vom traditionellen Einzelhandel zum Connected Commerce: Die Entwicklung von WEITZ

Connected Commerce E-Commerce Interview

Jürgen Weitz ist Einzelhändler mit Leib und Seele. Als Inhaber und Geschäftsführer des renommierten Familienunternehmens WEITZ legt er großen Wert auf Tradition, ist aber auch offen für neue Trends wie “Connected Commerce” – die Verschmelzung von stationärem Handel und E-Commerce.

Im Interview sprechen wir mit Jürgen Weitz, seiner langjährigen Assistentin Antje Mühlhausen und der Content Managerin Vanessa Haupt über die Herausforderungen, denen sich WEITZ als traditionelles Einzelhandelsunternehmen beim Einstieg in den E-Commerce-Markt stellen musste. Sie berichten, wie sie aus den anfänglichen Misserfolgen gelernt haben und heute die Vorteile des Online- und Offline-Handels erfolgreich miteinander verbinden.

Herr Weitz, 1996 haben Sie die Geschäftsführung des traditionsreichen Familienunternehmens übernommen. Damals steckte das Internet noch in den Kinderschuhen, E-Commerce war noch kein großes Thema. Wie haben Sie den Handel damals erlebt und was waren die gravierendsten Einschnitte und Veränderungen bis heute?

Jürgen Weitz: In den 90er Jahren hatte der Einzelhandel in erster Linie eine Versorgungsfunktion. Die Menschen sind in die Innenstadt gefahren, um gezielt etwas einzukaufen. Sie kamen zum Beispiel in unsere WEITZ-Fachgeschäfte, um ihr vorhandenes Sortiment an Gläsern zu ergänzen. Das hat sich heute völlig verändert. Das Internet hat die Versorgungsfunktion des inhabergeführten Fachhandels weitgehend übernommen. Wer schon klar definiert hat, was er kaufen möchte, kann dies heute viel einfacher und schneller im Internet erledigen. Dadurch gibt es im stationären Einzelhandel keine Stammkundenbindung im klassischen Sinne mehr. Dieser Verlust der Versorgungsfunktion ist aus meiner Sicht die wichtigste Veränderung, die der Einzelhandel durch das Internet erfahren hat. Wir sind heute viel stärker gefordert, die Kundinnen und Kunden zum Kauf unserer Produkte zu motivieren.

Die Menschen kommen also in den meisten Fällen nicht mehr mit einer klaren Kaufabsicht in Ihre Geschäfte. Wie gehen Sie damit um?

J.Weitz: Wir versuchen, die Kauflust vor Ort zu wecken. Anders als im Onlineshop kann man im stationären Geschäft die Dinge anfassen. Ein schönes Produkt real zu sehen und haptisch in die Hand nehmen zu können, fördert die Kauflust.

Wann und warum haben Sie sich entschieden, Ihr stationäres Geschäft um einen Onlineshop zu erweitern? 

J. Weitz: Ich selbst bin kein “Digital Native” und habe meine Diplomarbeit noch mit der Schreibmaschine getippt. Aber manchmal passieren im Leben kleine Dinge, die einen zum Nachdenken bringen. So war es auch bei der Initialzündung für den WEITZ-Onlineshop: Vor etwa 15 Jahren habe ich mit einer Freundin in München telefoniert. Sie sagte, sie brauche neue Teller. Aber anstatt in die überfüllte Innenstadt zu fahren, wollte sie diese lieber schnell mit dem Laptop am Küchentisch bestellen. Bei diesem Gespräch wurde mir klar, dass das Thema Onlinehandel auch WEITZ betrifft. Daraufhin haben wir die ersten Schritte unternommen, um unsere Produkte auch über das Internet zu verkaufen.

E-Commerce war für Sie und Ihre Mitarbeitenden damals Neuland. Vor welchen Herausforderungen standen Sie beim Einstieg in den Online-Handel?

J. Weitz: Unser erster Onlineshop war sehr rudimentär und hat überhaupt keine Umsätze generiert. Wir hatten alle noch keine Ahnung, wie der Onlinehandel funktioniert, wie man im Internet gefunden wird und so weiter. Unser Personal musste die Online-Anfragen aus dem stationären Geschäft beantworten. Das war ein fataler Fehler. Denn für unsere Mitarbeitenden vor Ort waren die Kundinnen und Kunden, die im Laden vor ihnen standen, am wichtigsten – und nicht die, die per E-Mail Kontakt aufgenommen hatten. Die Online-Kund:innen wollten aber eine schnelle und kompetente Antwort. Da musste ein Umdenken in unseren Köpfen stattfinden.

Was haben Sie dann geändert, um Ihre Produkte auch online erfolgreich zu verkaufen?

J. Weitz: Unser erster Versuch mit E-Commerce war ein Flop. Aber wir haben daraus gelernt und nach zwei, drei Jahren komplett umgestellt. Neben einer klassischen Website für den Shop haben wir spezielle Shops für die einzelnen Marken, die wir vertreiben, gestartet. Ziel war es, über die Herstellermarken im Netz sichtbarer zu werden. So erreichen wir online die Kundinnen und Kunden, die bereits genau wissen, welches Produkt von welcher Marke sie bestellen möchten. Dabei halten wir die Customer Journey so kurz wie möglich – eine übersichtliche Navigation führt mit wenigen Klicks direkt zum Bestellabschluss. Diese Herstellershops sind mittlerweile rund zwölf Jahre alt und generieren nach wie vor gute Umsätze. In den letzten Jahren hat aber der eigentliche WEITZ-Onlineshop immer mehr an Bedeutung gewonnen.

Im Jahr 2018 haben Sie digital.manufaktur mit dem Relaunch Ihres Onlineshops beauftragt. Was war Ihr Ziel?

J. Weitz: Unsere einzelnen Markenshops liefen zwar sehr gut. Aber es war sehr aufwändig, sieben verschiedene Onlineshops zu pflegen. Durch den Relaunch mit Shopware 6 können wir die Inhalte der verschiedenen Markenwelten nun über eine zentrale Plattform verwalten. Alle Onlineshops haben nun ein einheitliches Corporate Design, wodurch wir die Marke WEITZ stärken.

Welchen Stellenwert nehmen Ihre Online-Kund:innen heute bei Ihnen ein? Sind die Umsätze Ihrer Online- und Offline-Kanäle inzwischen gleich verteilt?

J. Weitz: Nein, das ist noch nicht ausgeglichen. Wir generieren nach wie vor einen großen Teil unseres Umsatzes über unsere Filialen. Das liegt natürlich auch daran, dass ich mit Leib und Seele stationärer Einzelhändler bin und meine Kundinnen und Kunden vor Ort liebe. Ich glaube aber, dass es keine strikte Trennung mehr zwischen Online- und Offline-Kunden gibt. Die beiden Bereiche verschmelzen immer mehr.

Diese Verschmelzung von Online- und Offline-Handel nennt man “Connected Commerce”. Wie setzen Sie das bei WEITZ um?

J. Weitz: Der WEITZ-Onlineshop hat mittlerweile die Funktion des Schaufensters übernommen. Früher hatten wir liebevoll dekorierte Schaufenster in unseren Geschäften, um den Kundinnen und Kunden draußen unsere Produkte und Preise zu zeigen. Diese “analogen” Schaufenster sind heute relativ unwichtig geworden. Viele Menschen schauen online nach, was es bei uns Neues gibt, und kommen dann in den Laden, um die Produkte anzufassen und sich zum Kauf animieren zu lassen. Durch unsere Omnichannel-Strategie verschmelzen unsere Online- und Offline-Umsätze. 

Vanessa Haupt: Unser Ziel ist es, diese Verschmelzung weiter voranzutreiben, so dass sich unsere Online- und Offline-Kanäle gegenseitig befruchten. Dass zum Beispiel ein Stammkunde in unseren Läden sagt: Ich schaffe es heute nicht in die Innenstadt, also bestelle ich die Tassen diesmal online. Und dass die Kundin, die Geschirr lieber online bestellt, beim nächsten Stadtbummel bei uns in der Filiale vorbeischaut und sich zum Beispiel zu einer Küchenmaschine beraten lässt, die sie im Onlineshop gesehen hat.

Welche konkreten Maßnahmen ergreifen Sie, um diese “gegenseitige Befruchtung” von Online- und Offline-Kanälen weiter voranzutreiben? 

V. Haupt: Wir sind gerade dabei, den Beratungs-Charakter unserer Filialen auch im Onlineshop stärker abzubilden. Die Fragen unserer Kund:innen sollen auch online kompetent beantwortet werden. Dazu werden wir in Zukunft verstärkt Inhalte und Online-Ratgeber erstellen. Darüber hinaus haben wir in unseren stationären Geschäften ein Stammkundenprogramm, das Rabatte für wiederholte Einkäufe bietet und auch die Zustimmung zum Erhalt von Werbung und Newslettern beinhaltet. In Zukunft haben wir außerdem vor, im Onlineshop Rabattcodes anzubieten, um Neukund:innen als Stammkund:innen zu gewinnen.

Antje Mühlhausen: Außerdem werden wir demnächst eine “Click & Collect”-Funktion in unseren Online-Shop integrieren. Das heißt, die Produkte können online bestellt und in einer unserer Filialen abgeholt werden. Für diesen Service hat das Team von digital.manufaktur bereits eine technisch sehr ausgereifte Lösung entwickelt. Beispielsweise können die Kund:innen in unserem Online-Shop die Verfügbarkeit und Lieferzeiten der Produkte in Echtzeit einsehen. Für die finale Einführung von Click & Collect müssen wir allerdings noch einige Herausforderungen lösen.

Welche Herausforderungen ergeben sich bei der Einführung von Click & Collect für einen traditionellen Einzelhändler wie WEITZ?

A. Mühlhausen: Die Herausforderungen sind vor allem logistischer Natur. Wir beliefern unsere Filialen eigentlich nur einmal pro Woche aus dem Zentrallager. Wenn ein Kunde aber online per Click & Collect bestellt, möchte er das Produkt sofort abholen und nicht unter Umständen eine ganze Woche darauf warten. Wir müssen also eine effiziente Lösung finden, die sicherstellt, dass die Kund:innen ihre Bestellungen möglichst schnell in der Filiale abholen können.

V. Haupt: Eine weitere Herausforderung ist, dass Click & Collect eine andere Herangehensweise an die Bedienung der Kund:innen erfordert. Unsere Mitarbeitenden  vor Ort müssen die Online-Bestellung bearbeiten und das bestellte Produkt in der Filiale zur Abholung bereitstellen. Deshalb ist es wichtig, dass die Click & Collect-Bestellungen direkt in der Filiale bearbeitet werden. Es handelt sich hierbei aber um die Bedienung virtueller Kund:innen, die man nicht anfassen oder sehen kann. Unser Personal in den Filialen muss für die Bedürfnisse der Online-Kund:innen, die nicht physisch anwesend sind, sensibilisiert werden. 

J. Weitz: Bei WEITZ arbeiten Menschen, die den stationären Einzelhandel und den persönlichen Kontakt zu ihren Kund:innen lieben. Die Integration der Online-Services ist ein Prozess, bei dem alle mitziehen müssen. Das geht nicht von heute auf morgen. Es ist ein umfassender Wandel, der sich Schritt für Schritt vollzieht.

Bieten Sie in Ihrem Onlineshop auch Produkte an, die nicht in den Filialen erhältlich sind?

A. Mühlhausen: Alle Produkte, die wir online verkaufen, sind auch in unseren Filialen erhältlich. Allerdings sind einige Produkte online beliebter als offline. So wird beispielsweise unser Hochzeitsservice online sehr gut angenommen. Früher wurden diese Hochzeitswunschlisten in den Filialen als Tisch dekoriert. Jetzt werden die Wunschlisten nur noch im Online-Shop präsentiert, da die meisten Gäste es vorziehen, die Geschenke von der Wunschliste online zu kaufen. Dadurch haben wir im Geschäft mehr Platz für andere Produkte.

V. Haupt: Die Verwaltung der Hochzeitswunschlisten im Onlineshop ist recht aufwendig. Aber wir haben dadurch viele neue Kund:innen aus Regionen gewonnen, in denen wir nicht physisch präsent sind. Der Aufwand lohnt sich also.

Sie haben gerade die Nutzung der Ladenfläche angesprochen. Inwieweit nutzen Sie dafür die Erkenntnisse aus Ihrem Onlineshop? Werden zum Beispiel bestimmte Produkte, die online besonders häufig gekauft werden, auch im Laden entsprechend prominent platziert?

 Antje Mühlhausen: Die Abverkaufsdaten aus unserem Onlineshop lassen sich tatsächlich nicht eins zu eins auf unsere Filialen übertragen. Denn online wird immer ein etwas anderes Sortiment nachgefragt als in unseren Filialen. Die Online-Kund:innen kaufen in der Regel einzelne Teller oder Tassen, um ihr bestehendes Geschirrset zu ergänzen. Ein komplettes Porzellanservice wird dagegen selten online bestellt. Dafür kommen die Kund:innen nach wie vor in unsere Stammhäuser, um sich die Produkte vor Ort anzuschauen und sich beraten zu lassen.

V. Haupt: Einige Trends lassen sich aber durchaus vom Onlineshop in die Offline-Welt übertragen. So hat der Porzellanhersteller “KPM Berlin” vor einigen Jahren einen kompletten Relaunch gemacht und spricht mit der Serie “LAB” eine jüngere Zielgruppe an. Diese Serie hat sich online sofort gut verkauft, da unsere Zielgruppe im Onlineshop eher jünger ist. Dagegen war die Kundschaft im Geschäft zunächst zurückhaltend. Inzwischen ist “LAB” aber auch bei unseren Offline-Kund:innen sehr beliebt und dementsprechend viel präsenter in den Geschäften platziert. Insofern lassen sich einige “Offline-Trends” durch die Online-Nachfrage vorwegnehmen.

Welche Online-Tools nutzen Sie neben Ihrem Onlineshop, um das Thema Connected Commerce weiter voranzutreiben?

A. Mühlhausen: Wir planen, einige unserer Produkte über Amazon zu verkaufen. Unser Ziel ist es, dadurch noch mehr Sichtbarkeit für die Marke WEITZ zu schaffen. Daher werden wir auf Amazon kein breites Sortiment verschiedener Hersteller anbieten, sondern ausschließlich die Eigenmarke WEITZ.

V. Haupt: Darüber hinaus nutzen wir auch Google Local Inventory Ads. Damit können wir unsere stationär verfügbaren Produkte in der Google-Suche und bei Google Shopping sichtbar machen. Wir haben das Tool für unsere Filiale in Hannover erfolgreich getestet und werden es nun auch für unsere anderen drei Häuser einführen.

Zum Schluss noch eine Frage an Herrn Weitz: Einer der Schlüssel zum Erfolg von WEITZ ist es, offen für Trends zu sein, ohne dabei die traditionellen Werte aus den Augen zu verlieren. Was sind Ihre Unternehmenswerte und wie leben Sie diese?

J.W.: WEITZ ist, wie Sie gerade gesagt haben, ein Traditionsunternehmen. Das Thema Nachhaltigkeit zum Beispiel hat bei uns schon immer eine große Rolle gespielt und wird auch in Zukunft einer unserer Kernwerte bleiben. Tradition bedeutet für mich aber nicht, komplett am Alten festzuhalten. Vielmehr bedeutet Tradition für mich, das “Gute Alte” zu bewahren und sich gleichzeitig auf das “Gute Neue” einzulassen. So machen wir das bei WEITZ seit Generationen. Einer unserer wichtigsten Werte ist, dass wir hinter den Produkten stehen, die wir verkaufen. Das betrifft sowohl die ethisch vertretbare Herstellung als auch die Ästhetik. Außerdem sind uns Menschlichkeit und Ehrlichkeit bei allem, was wir tun, sehr wichtig. Das sind Werte, die ich von meinen Eltern gelernt habe und die ich versuche, an meine Kinder weiterzugeben.

Erfahren Sie mehr darüber, wie digial.manufaktur WEITZ bei der Digitalisierung des Vertriebsmodells unterstützt. Hier geht's zur WEITZ Case Study.

Über WEITZ

Die W. WEITZ GmbH & Co. KG ist ein traditionsreicher deutscher Einzelhandelsbetrieb für Porzellan, Glas, Küchenzubehör, Haushaltswaren, Trinkgläser, Bestecke und Tischwäsche sowie ein Anbieter für Hochzeits- und Wunschlisten mit Hauptsitz in Hannover. Gegründet im Jahr 1848, blickt das familiengeführte Unternehmen auf eine lange Geschichte zurück. Heute wird WEITZ in fünfter Generation durch Inhaber Jürgen Weitz geleitet, der mit www.weitz-porzellan.de und den verschiedenen Marken-Online-Shops erfolgreich den Schritt in das Online-Geschäft gegangen ist.

Ein weiteres Best-Practice-Beispiel für die erfolgreiche Umsetzung von Connected Commerce finden Sie hier: Wie E-Commerce den stationären Einzelhandel stärken kann – Interview mit Michael Schenkemeyer von GISY